Der Klapperstorch am Galgen

Schwangere in den Großstädten kennen das Problem schon lange: die Suche nach einer Hebamme gerät häufig zum Glückspiel. Denn immer mehr Geburtshelferinnen haben sich in den letzten Jahren aus ihrem Job verabschiedet: 2012 hängte dem Hebammenverband zufolge bereits jede 10. ihren Beruf an den Nagel.

Im Sommer 2014 nun droht das endgültige Aus dieses Berufstandes: Die Nürnberger Versicherung, eine der letzten Haftpflichtversicherer für Hebammen, hat ihren Rückzug aus diesem Geschäftszweig angekündigt. Somit bleibt nur noch eine Versicherung, die das Berufsrisiko einer Hebamme versichert: der Entwicklung des Versicherungsbeitrags sind dann keine Grenzen mehr gesetzt – eine Prämie, die sich viele der Geburtshelferinnen bereits jetzt schon fast nicht mehr leisten können. Da Hebammen ohne eine Berufshaftpflicht jedoch nicht arbeiten dürfen, kommt der Rückzug der Nürnberger einem Berufsverbot gleich.

Für eine werdende Mutter ist es kaum vorstellbar, ohne die kompetente – medizinische, praktische und emotionale – Hilfe dieser Frauen ihr Kind zur Welt zu bringen. Keine Entbindung ohne Hebamme – das ist in Deutschland sogar gesetzlich vorgeschrieben. Die Unterstützung eines Arztes bei einer Geburt ist Komplikationen wie einem notwendig werdenden Kaiserschnitt vorbehalten. Hebammen erfüllen demnach eine der wichtigsten Aufgaben unsere Gesellschaft. Und nicht nur als Geburtshelferinnen: Ihre Unterstützung beginnt bereits lange vor der Geburt und wird nicht selten bis zum Abstillen des Babys in Anspruch genommen.

So wichtig und erfüllend der Beruf einer Hebamme aber auch sein mag, gut bezahlt ist er jedenfalls nicht: mit durchschnittlich 8,50 Euro Stundenlohn werden Nachtschichten, ungeregelte Arbeitszeiten, Rufbereitschaft und die Verantwortung für ein neues Leben entlohnt. Von diesem dünnen Einkommen müssen Hebammen zusätzlich die Beiträge der Berufshaftpflicht bestreiten. Und deren Prämien steigen seit Jahren unaufhaltsam: betrug die Prämie 1998 noch 394 Euro jährlich, kostete sie 2010 bereits 3689 Euro. Ab dem Sommer 2014 wird sie auf 5090 Euro klettern.

Dass keine Versicherung mehr eine Hebamme versichern will, liegt nicht daran, dass die Risiken bei einer Geburt gestiegen sind – ganz  im Gegenteil: es passiert weniger als früher. Kinder, die bei der Geburt Schaden davontragen, können heutzutage besser behandelt werden und haben eine längere Lebenserwartung. Diese grundsätzlich positive Entwicklung veranlasste die Gerichte in den letzten Jahren, betroffenen Kindern und ihren Familien eine höhere finanzielle Unterstützung zuzusprechen. Eine Entscheidung mit Folgen: das gesamte Geburtshilfesystem ächzt inzwischen unter den hohen Haftpflichtprämien. Die rund 3.500 freiberuflichen Geburtshelferinnen in Deutschland werden zuerst aufgeben müssen: allein sie jedoch betreuen 20 Prozent aller Geburten in den Kliniken. Die Situation trifft ganz besonders Krankenhäuser in ländlichen Gebieten, wo überwiegend freiberufliche Hebammen beschäftigt sind.

Das Problem der Hebammen betrifft also nicht nur zwei Prozent der Geburten, die Zuhause stattfinden, wie Kritiker zum Teil anführen. In den Geburtshäusern wird als nächstes das Licht ausgehen. Was folgt: „Das ganze Beleg-Hebammen-System kippt“, warnte Katharina Jaschke, Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammenverband. Und sogar festangestellte Hebammen in den Kliniken benötigen wegen teilweise unzureichender Absicherung durch ihren Arbeitgeber ebenfalls eine eigene Haftpflicht.

Die gesamte Geburtshilfe ist derzeit in Gefahr. Mit gravierenden Folgen: Wenn die freiberuflichen Hebammen aufgeben, bleibt den Schwangeren zum Entbinden nur der Weg in eine große Klinik, schlimmstenfalls auch dort ohne Geburtsbegleitung durch eine Hebamme. Bei Klinikengeburten kommt es jedoch viel häufiger zu Kaiserschnitten als bei Geburten, die allein von Hebammen betreut werden – möglicherweise wird ohne die intensive Betreuung durch eine Hebamme schneller zum Skalpell gegriffen als notwendig. Kaiserschnitte sind zudem wirtschaftlich lukrativer als eine normale Geburt, die sich über viele Stunden hinziehen kann. Laut der Bayerischen Perinatalstudie wird z.B. in München weitaus häufiger ein Kaiserschnitt angeordnet als von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen: je nach Krankenhaus werden 19 bis 43 Prozent der Babys per Kaiserschnitt entbunden – das Richtmaß der WHO liegt bei 15 Prozent. Eine ungewollte Entwicklung für werdende Eltern, mit finanziellen Auswirkungen auf die Krankenkassen.

Doch Hebammen sind nicht nur Geburtshelferinnen, sondern bieten auch die so wichtige Vor- und Nachsorge : Sie bereiten die Familien auf den kommenden Zuwachs vor, untersuchen die Schwangere, unterstützen frischgebackene Mütter nach deren Entlassung aus dem Krankenhaus. Wenn einer Wöchnerinnen diese Unterstützung zukünftig fehlt, wohin soll sie sich dann mit ihren Nöten und Beschwerden wenden – wenn am Wochenende das Kind wegen Blähungen ununterbrochen schreit, der Bauchnabel womöglich nässt oder das Stillen nicht klappt? Die Notaufnahmen wären als Anlaufstellen in jeglicher Hinsicht überfordert.

Die Krankenkassen hatten auf das Haftpflicht-Problem der Hebammen schon reagiert und ihnen zuletzt als Berücksichtigung der gestiegenen Prämien eine höhere Vergütung zugestanden. Der Rückzug der Versicherer jedoch stellt die Gesellschaft nun vor ein neues Problem. Der Verband der Hebammen fordert deshalb endlich eine politische Lösung – denkbar wäre etwa eine Haftungshöchstgrenze wie zum Beispiel in den Niederlanden. Die Partei der Grünen, die ihrerseits eine Bundestagsdebatte angeschoben hatte, schlägt vor, dass die Krankenkassen bei Geburtsfehlern nicht alle Behandlungskosten von der Haftpflichtversicherung zurückfordern sollen. So würde ein Teil der Kosten auf alle Krankenversicherte umgelegt. Alternativ steht ein Haftungsfonds für besonders hohe Schadensfälle zur Debatte, der aus Steuergeldern bestritten wird. In beiden Szenarien müssten die Haftpflichtversicherrt nicht mehr so hohe Kosten bei Geburtsschäden fürchten, die Prämien könnten wieder sinken.

Was wie der Überlebenskampf einer aussterbenden Berufssparte anmutet, betrifft uns letztlich alle – denn die Geburt von Kindern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und die Zeit drängt!

Die Petition an den Deutschen Bundestag, die am 16.4.2014 auslief und die Sicherstellung der Hebammenhilfe fordert, übertraf die Erwartungen bei Weitem –  ganz herzlichen Dank allen Unterstützerinnen und Unterstützer hierfür. Nun ist die Politik am Zuge, um die deutsche Geburtshilfe wieder auf ein tragfähiges Fundament zu stellen.

https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2014/_03/_12/Petition_50667.nc.html

10. April 2014

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